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Joachim Krause ist „Am Abend mancher Tage“

Lift-Texter und DDR-Umweltaktivist geht in seinen Erinnerungen auf Spurensuche in Mitteldeutschland


Ormig, Karbid und Polylux – wer damit noch was anfangen kann, für den ist „Am Abend mancher Tage“ eine Fundgrube. Doch auch für jene, die bei Telegramm nur Bahnprivatisierung verstehen, ist Joachim Krauses Spurensuche lesenswert. Denn der über Nostalgieverdacht erhabene, seit 1982 als Beauftragter für Glaube, Naturwissenschaft und Umwelt in der evangelischen Kirche Sachsens tätige Autor schrieb mit oben genanntem Text nicht nur einen Hit für die Band Lift. Der 1946 in Thüringen geborene spätere Diplomchemiker weiß auch Zeitgeschichte so zu erzählen, dass jene keine Chance haben, die den Osten bis 1989 von 16 Millionen IM-Schergen bevölkert sehen.

Pfarrerskind Krause wird mit Kaulquappen und Feindsender groß, erzählt in locker aufgereihten Erinnerungen unaufgeregt über Handarbeitsunterricht und den Alltag in (s)einem Dorf in den Fünfzigern. Zugleich ist die Beschreibung des Landlebens schillernder Gegensatz zu heute, wo der Zigarettenautomat letzter Rest der Infrastruktur ist. Krauses Kindheit dagegen ist von Pausenmilch und Gemeindeschwester geprägt – Selbstverständlichkeiten, für die es heute einer Großen Koalition bedarf. „Fast jeder guckte, aber man redete nicht darüber“, schreibt er übers Westfernsehen, das flimmerte, „als es noch Maikäfer gab“. Deren Verwandte, die Kartoffelkäfer, segelten angeblich aus US-Fliegern herab, um der DDR-Wirtschaft zu schaden. Nicht die einzige Losung, die Krause weglacht.

Später kommt die Kollektivierung nebst Großtechnik auf den Feldern – Hamster und Rebhuhn reißen aus. Krause wiederum lernt an der Erweiterten Oberschule, ist nicht in der FDJ, dafür wird daheim das Telefon abgehört: Vater ist verdächtig. Der Sohn besorgt sich die Dylan-Platte aus dem Phonoclub. Hoffentlich hat er sie noch: Bobs Bestes ist heute was wert. Mit ihm und den Beatles im Ohr gründet Krause eine eigene Band, dichtet ein Lied für den Schlagerwettbewerb, landet im Endausscheid. Anfang der Siebziger kultivieren die Genossen eigene Beatmusik. Krause schreibt nun Zeilen für Lift, Karat, Horst Krüger, Theo Schumann.

„Nebenbei“ studiert der Texter Chemie. Mit professoraler Hilfe entrinnt er dem Wehrdienst, steigt dafür 1973 in die offene Jugendarbeit der Weinbergskirche Dresden ein. „In diesen Jahren lernte ich die DDR noch einmal ganz neu kennen“, erinnert er sich. Das heißt etwa mit Vorladung „zur Klärung eines Sachverhaltes“. Wieder daheim schickt er ein Einschreiben: „Nein, konspirative Gespräche mit mir allein und über Dritte wird es nicht geben“. Diese Zivilcourage bringt ihm „Operative Personenkontrolle“ ein. Staatsfeind, 17 Jahre lang. Nun lotet er die Grenzen der Diktatur aus, sammelt Umweltfakten aus dem „Saustall“ DDR, wo schon mal Wismut-Abraum im Straßenbau unters Volk kommt. Dass jenes 1989 „Wir sind das Volk“ ruft, findet der Sachse sympathischer als die Losung „Wir sind ein Volk“. Den angebotenen Vorstandssitz im Demokratischen Aufbruch lehnt er ab, will „keinem politischen Verein beitreten, damit ich unverkrampft mit allen reden kann.“ Später stellt Krause fest, dass „alles so schnell geht und uns unvorbereitet trifft. Demokratie will gelernt sein.“

Krause schwadroniert nicht, er plaudert. Und statt den Zeigefinger zur heben, reicht er dem Leser lieber die Hand und lädt ihn ein, sie nachzuerleben – seine Lebensgeschichte.


Ingolf Rosendahl


(Leipziger Volkszeitung 2.5.2008, Seite 2 Rock und Pop;
gleicher Text in: Dresdner Neueste Nachrichten, 2.6.2008)

 

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Energieexperte und Rocktexter

Der kirchliche Umweltbeauftragte Joachim Krause hat seine Lebenserinnerungen veröffentlicht

 

Der Titel hat in der DDR Popmusikgeschichte geschrieben. 1980 landete er auf Platz 1 der 100 Besten: „Am Abend mancher Tage“ der Gruppe „Lift". Der damals 34-Jährige, der den Text zur Musik von Wolfgang Scheffler geschrieben hatte, ist heute in der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens Beauftragter für Glaube, Naturwissenschaft und Umwelt: Joachim Krause. Jetzt hat er seine Erinnerungen veröffentlicht, unter dem Titel jenes bekannten Lift-Songs.

Darin schildert der Chemiker, der in Dresden studiert hat und seit 1982 bei der Kirche angestellt ist, zum Beispiel, wie er an geheim gehaltene Informationen über den Zustand der Umwelt herankam. Sein erster Coup hieß „Dohna“. Dort, erzählte ihm ein befreundeter Zahnarzt, litten alle Kinder und Jugendlichen an dunkel verfärbten, spröden Zähnen. Jeder wusste es: Ursache war das Fluorwerk. Das arbeitete mit Flusssäure und ihren Salzen. Immer wieder wurden schädliche Gase freigesetzt, bei Havarien wehten giftige Nebel durch den Ort. Trinkwasser und Obst enthielten Fluor in extremer Überdosis. Das machte die Zähne hart und spröde, Wissenschaftler kannten den Fall, nur die betroffenen Bewohner nicht.

Joachim Krause vertiefte sich in medizinische Fachzeitschriften, fand dort einige Informationen. Jemand steckte ihm, drei Zahnärztinnen hätten zu dem Problem geforscht und wurden demnächst ihre gemeinsame Doktorarbeit verteidigen. Er borgte sich für diesen Tag einen weißen Arztkittel von seinem Freund, schneite in das Institut und wurde dort prompt als „Herr Kollege“ angesprochen. „Und dann“, so erinnert er sich, „saß ich im Hörsaal und hörte das, was ich nie hätte hören dürfen – die Fakten zum Schicksal der Kinder von Dohna.“ Wenig später suchte er einen Mediziner in Dohna auf, wollte Näheres zu dessen Beitrag in einer Zeitschrift wissen. Doch der erschrak nur und meinte: „Das, was ich da aufgeschrieben habe, war nur für Fachkollegen gedacht. Sie hätten das gar nicht verstehen dürfen.“

Zu staatlichen Autoritäten ist Joachim Krause von Beginn an auf Distanz gegangen. Er hat eine rebellische Jugendzeit mit schulterlangen Haaren und Beat-Band hinter sich. Geboren wurde er 1946 im thüringischen Ehrenhain, einem Dorf, in dem sein Vater Pfarrer war. Schon der war als DDR-kritisch bei der Staatssicherheit bekannt. Joachim Krause war weder Pionier noch in der Freien Deutschen Jugend (FDJ), verweigerte sich auch der staatlich verordneten Jugendweihe. Nur, weil sich ein Lehrer für ihn einsetzte, kam er auf die Erweiterte Oberschule und durfte nach dem Abitur Chemie an der TU Dresden studieren.

Zuvor hatte er auf einer Bühne in Meerane vor dem bekannten Rundfunkmoderator und Talentesucher Heinz Quermann zur Gitarre „The House of the Rising Sun“ gesungen - erfolglos. Doch dabei lernte er die Band „Meridas" kennen, bei der er ein Jahr lang Bassgitarre spielte. Mitglied war dort auch Gerhard Zachar, der spätere Leiter von „Lift". Nicht nur für diese Gruppe hat Joachim Krause Texte geschrieben, auch für „Panta Rhei", aus der später „Karat" wurde. Sein Buch ist ein buntes Kaleidoskop des Alltags der fünfziger bis achtziger Jahre in der DDR. In kurzen Episoden berichtet er über Umsiedler, Waschtag, Leibchen, Kinderspiele, Landfilm, Hausbuch, Dorfpolizist, den ersten Fernseher, Radio Luxemburg, Fahnenappell, Rock´n´Roll und Beatles-Fieber.

Erfahren kann man hier auch, wie er sich, in die Enge gedrängt, der Anwerbung durch die Staatssicherheit entzog. Er berichtet über die offene Jugendarbeit in der Weinbergskirche in Dresden-Trachenberge, einem Zentrum der kirchlichen Opposition. Über die Anfänge der kirchlichen Umweltbewegung in der DDR, den „Ökologischen Arbeitskreis" in Dresden. Über die „Ökumenische Versammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung", die er in einer Arbeitsgruppe mit vorbereitete. In der Kirche galt er als Experte für Energiefragen. 1989 gründete er in Berlin den „Demokratischen Aufbruch" mit, ging aber nicht in den Vorstand. „Überhaupt bin ich danach wieder zu meiner alten Gewohnheit zurückgekehrt, keinem politischen Verein beizutreten, damit ich unverkrampft mit allen reden kann."

Sein Alltag als Umwelt-Beauftragter der Landeskirche heute: „Ich werde eingeladen von Menschen, die in dieser Welt hier und heute leben, und die Antworten suchen auf ihre Fragen. Ich habe die Antworten oft auch nicht, aber ich stelle zur Verfügung, um Informationen zu geben und die Nachdenklichkeit

zu befördern."

(Tomas Gärtner
in „Dresdner Neueste Nachrichten, 10./11.5.08, S.14 Kirche)

 

 

Am Abend mancher Tage

(Rezension)

 

Manchmal fragen uns die Kinder, inzwischen schon die Enkel: Wie war das eigentlich, damals in der DDR, wie habt ihr gelebt? Wie hat der ganz normale Alltag funktioniert? Wo wart ihr mutig, wo habt ihr feige gekniffen? Wann war euch zum Heulen zumute, und gabs auch mal was zum Lachen? Joachim Krause, Jahrgang 1946, erzählt anekdotisch aus seinem (Er-)Leben über fünfzig Jahre. Wir erfahren Vergnügliches und Bewahrenswertes aus seiner „Dorfkinderzeit“ in den 1950er Jahren in Südwestsachsen, vom Lebensalltag zwischen „Konsum“ und „Landfilm“, vom Schulunterricht in einer Zwergschule, von Fahnenappell und Kirschen-Klauen, von der Röntgenreihenuntersuchung, vom ländlichen Waschtag und von der Hamsterjagd – aber auch, wie Klassenkampf und Stalinismus Spuren in einer Kinderseele hinterließen. Der Autor erzählt weiter von jugendlichen „Flugversuchen“ in seiner Oberschul- und Studienzeit: Westfernsehen, das eigentlich verboten war, erste Gitarrenversuche, um die Beatles am Radio zu begleiten, Kochkünste und pubertäre Kraftmeiereien beim Zelten an der Ostsee. Militärische Lehrgänge im GST-Lager kontrastieren mit studentischen Erlebnisreisen ins frühlingshafte Prag von 1968. Aus den 1970er und 1980er Jahren erfahren wir von der Entdeckung von Freiräumen in der geschlossenen DDR-Gesellschaft, von der Suche nach alternativen Lebenskonzepten, vom Eintauchen in verbotene Welten – und auch von ersten Schwierigkeiten mit der Staatssicherheit. Der Autor berichtet von Biermann und Postkontrolle, aber daneben gibt es auch den mit Augenzwinkern beobachteten Alltag einer DDR-Familie mit Schafen und Trabbi und Freunden. Wir erleben mit, wie er in die kirchliche Umweltarbeit der DDR eintaucht, sich - nun auch beruflich - darum müht, Umweltsünden der DDR aufzudecken und publik zu machen. Tschernobyl und Uranbergbau und Lebensstilfragen; es wird politisch immer heißer. Dann im Herbst 89 überschlagen sich die Ereignisse. Zukunftsentwürfe, in neuen Parteien und an „Runden Tischen“ erdacht, haben ein schnelles Verfallsdatum. Das Leben nach der Wende eröffnet spannende neue Horizonte, bringt aber auch manche Schockerfahrung und Ernüchterung.

In den etwa zweihundert kleineren und längeren persönlichen Geschichten, die der Autor mit subtiler Selbstironie erzählt, wird auch etwas deutlich von fünfzig Jahren Geschichte, wie sie sich in einer ostdeutschen Biographie niedergeschlagen hat.

 

(Conrad Zabka
in: BRIEFE zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Evangelische Akademie Wittenberg, Heft 90, 2009, S.20)

 

 

„In uns gärte es“

 

Er ist Naturwissenschaftler und Poet – und war schon als Jugendlicher politisch unbequem: Der kirchliche Umweltbeauftragte Joachim Krause hat jetzt seine Erinnerungen veröffentlicht.

 

Es sind die großen Fragen, die Joachim Krause bewegen. Früher, als er mit einer Rockband auf der Bühne stand und 1980 mit dem Titel »Am Abend mancher Tage« einen Nummer-Eins-Hit für die Pop-Gruppe »Lift« schrieb. Und heute, wenn er als Beauftragter für Umwelt, Naturwissenschaft und Technik der sächsischen Landeskirche seine Vorträge hält. Schöpfung, Evolution, der Anfang und das Ende des Lebens – das sind seine Themen.

Zu staatlichen Autoritäten ist Joachim Krause dagegen von Beginn an auf Distanz gegangen. In seiner rebellischen Jugendzeit trägt er die Haare schulterlang. Er, der 1946 geborene Sohn eines politisch unbequemen Pfarrers aus Thüringen, geht weder zu den Pionieren noch tritt er der Freien Deutschen Jugend (FDJ) bei, verweigert sich auch der Jugendweihe. Auf die Erweiterte Oberschule (EOS) und zum Studium kommt er nur, weil sich ein Lehrer für ihn einsetzt. Und als er 1989 zu den Gründern des »Demokratischen Aufbruchs« gehört, geht er nicht in den Vorstand.

Überhaupt bin ich danach wieder zu meiner alten Gewohnheit zurückgekehrt, keinem politischen Verein beizutreten, damit ich unverkrampft mit allen reden kann.

Das wollte er schon 1968. Der »Prager Frühling« vor 40 Jahren ist in seiner Biographie ein zentrales Thema. »Er steckte an«, so schreibt Joachim Krause in seinen Erinnerungen, die unter dem Titel seines Liedes »Am Abend mancher Tage« als Buch erschienen sind. »Auch bei uns und in uns gärte es«, heißt es da. Zu dieser Zeit studiert er Chemie in Dresden.

Der Solidaritätsbrief, den er damals an seinen Prager Freund schreibt, erreicht diesen nie. Der Staatssicherheitsdienst fängt das Schreiben ab, heftet es in Krauses Akte. Vier so genannte »Operative Vorgänge« sollen es bis 1989 werden.

Joachim Krauses Erinnerungsbuch ist ein buntes Kaleidoskop des Alltags der fünfziger bis achtziger Jahre in der DDR. In kurzen Episoden berichtet er über Umsiedler, Waschtag, Leibchen, Kinderspiele, Landfilm, Hausbuch, Dorfpolizist, den ersten Fernseher, Radio Luxemburg, Fahnenappell, Rock ’n’ Roll und Beatles-Fieber.

Für einige namhafte DDR-Bands schrieb Joachim Krause Songtexte. Erfahren kann man in dem Buch aber auch, wie er sich, in die Enge gedrängt, dennoch der Anwerbung durch die Staatssicherheit entzog. Er berichtet über die offene Jugendarbeit in der Weinbergskirche in Dresden-Trachenberge, einem Zentrum der kirchlichen Opposition. Über die Anfänge der kirchlichen Umweltbewegung in der DDR, den »Ökologischen Arbeitskreis« in Dresden. Über die »Ökumenische Versammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung«, die er in einer Arbeitsgruppe mit vorbereitet hat.

In dieser Zeit ist er zum Experten für Energiefragen geworden. Seit 1982 arbeitet der Chemiker als Umweltbeauftragter bei der Landeskirche. 1990 wird er für einige Zeit Berater des damaligen Umweltministers Klaus Töpfer bei der Sicherung der Gesundheitsunterlagen zum Uran-Bergbau der Wismut.

Heute ist Joachim Krause im Auftrag der Landeskirche häufig in Sachsen unterwegs mit seinen Vorträgen über Umwelt und Naturwissenschaft. Er versucht, die oft emotionalen Diskussionen durch Fakten zu versachlichen. Menschen, die beunruhigt sind und viele Fragen haben, laden ihn ein, schreibt er in seinen Erinnerungen.
Ich habe die Antworten oft auch nicht, aber ich stehe zur Verfügung, um Informationen zu geben und die Nachdenklichkeit zu befördern.

 

Joachim Krause: Am Abend mancher Tage. Eine Spurensuche in Mitteldeutschland. Wartburg-Verlag, Weimar. ISBN 978-3-86160-401-3, 208 Seiten, 18,50 Euro

 

Tomas Gärtner

 

(Der Sonntag, 10.8.2008 S.5)

 

 

Eine alltägliche DDR-Biographie

 

Joachim Krause: Am Abend mancher Tage. Weimar: Wartburg Verlag 2008, 208 S., 18,50 Euro

 

Der Landesbeauftragte für Glaube und Naturwissenschaft der sächsischen Landeskirche hat auch noch Zeit zum Schreiben. Joachim Krause skizziert in überraschend plastischen Episoden 50 Jahre deutsche Geschichte. Ein unspektakuläres, aber eindrückliches Buch: Erlebnisse seiner Kindheit, die Jugend, sein Werdegang und die dramatische Zeit der Wende.

Zweihundert Skizzen, die nicht die ganze Welt erklären wollen, aber einiges erhellen und in ihrer Beschränkung zu mehr als privaten Mitteilungen geraten. Der Leser glaubt häufiger, alte Bekannte vor sich zu haben. In diesem Sammelband erweist sich Joachim Krause als ein authentischer Erzähler seiner Heimat. Je geradliniger die Stenogramme Eindrücke der vergangenen Zeit widerspiegeln, umso unverwechselbarer wirken sie fast: Wie die Kinder in der DDR Kartoffelkäfer sammeln mussten, oder als er beschreibt, wie sein Song „Am Abend mancher Tage“ 1880 einen 1. Preis in der DDR gewann. Jemand schreibt hier ohne Eitelkeit, unverblümt und undramatisch – und des zeigt sich, dass Alltagsgeschichte von Zeitgeschichte nicht zu trennen ist. Helden des Buches sollen auch die Freunde sein, an die er erinnern will. Ein gelungener Titel in einem auch sonst anregenden Frühjahrsprogramm eines Verlages, der sich aus der Nische scheinbar reiner christlicher Literatur wieder deutlicher hervorwagt.

 

Lutz Rathenow

 

(in: liberal Heft 3/08, Vierteljahreshefte für Politik und Kultur der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, liberalverlag Berlin)

 

 

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Interview mit dem Schauspieler Jan Josef Liefers (Tatort: „Professor Boerne“)

TAZ Berlin 2.2.09 S.24-25

 

(L. durfte kein Abitur machen, sollte zur Nationalen Volksarmee gehen, lehnte ab …)
“Es gibt ein Lied, das wir auch spielen*, „Am Abend mancher Tage, da stimmt die Welt nicht mehr“. Dieser Song hat mir damals den Arsch gerettet.“

 

 

 

 

Bericht von einem LIFT-Konzert mit Buchlesung „Am Abend mancher Tage“

http://www.puhdys-forum.de/t5083f80-LIFT-in-der-Weinbergskirche-DRESDEN-mit-Joachim-Krause.html

 

LIFT in der Weinbergskirche DRESDEN mit Joachim Krause in Konzertberichte Ostrock allgemein 29.05.2010 14:45

von HH aus EE (Hartmut Helms)

Dies ist mein Beitrag Nummer 800 in diesem Forum - ich kann's selbst kaum glauben!

 

Konzert, Lesung und Nachdenken mit LIFT & Joachim Krause

Weinbergskirche, Dresden-Trachenberge, 28. Mai 2010

 

 

Nicht immer hat ein Lied das Zeug für die Ewigkeit und auch nicht immer ist ein Text dem Volk derart vom Munde geschrieben, so als wäre er mit abertausenden Zungen zur gleiche Zeit gesprochen. Doch manchmal haben Tausende die gleichen Gedanken, fühlen das gleiche und nur einer von ihnen vermag dies in Worte zu kleiden, so dass sich alle darin zu jeder Zeit wieder finden:

 

Am Abend mancher Tage

da stimmt die Welt nicht mehr

irgendetwas ist zerbrochen

wiegt so schwer

und man kann das nicht begreifen

will nichts mehr sehn

und doch muß man weitergehn

 

Der Anlaß für die Zeilen schmerzt mich heute noch, auch wenn der Unfall im Herbst 1978 schon mehr als 30 Jahre zurück liegt. Damals starben der Bandleader von LIFT, GERHARD ZACHAR sowie der begnadete Sänger und Texter, HENRY PACHOLSKI, auf einer Landstraße in Polen. Wenn ich nur daran denke, überkommt mich Wehmut und noch immer geht es wohl vielen ebenso. Wie sonst wären die feuchten Augen und das zaghafte Mitsingen dieser wunderschönen Ballade zu erklären.

 

Zum ersten Mal hab’ ich diese Worte gestern von dem Mann gesprochen gehört, der sie schrieb und zum ersten Mal war mir, als wäre im Text nicht nur die Trauer und deren Überwindung beschrieben, sondern auch manch’ anderes Gleichnis darin versteckt.

 

Die kleine Kulturkirche Weinberge auf dem Trachenberg am Dresdner Stadtrand ist gut gefüllt. Nur wenige Bankplätze und Stühle sind leer geblieben. Kein Wunder, LIFT ist nicht nur vom Ursprung her eine Dresdner Pflanze, sondern hier im Umfeld der Kirche begann einst als Dresden Sextett auch die Eroberung der kleinen DDR-Rockwelt. Einer, der das alles aus allernächster Nähe und als Teil dieser Geschichte, als Bassist, als Gitarrist, als Sänger und letztlich dann als Texter, miterlebt hat, ist JOACHIM KRAUSE. Er lebte im Umfeld der Kirche als Sohn des Pfarrers und Mitglied der Kirchengemeinde. Das Dresden-Sextett und -Septett, die spätere Gruppe LIFT, hatte ihr Zuhause ebenfalls hier.

 

JOACHIM KRAUSE sitzt da vorn auf einem Hocker und erzählt sich einen Teil seines Lebens von der Seele. Er taucht ein in Vergangenes und Wohlbekanntes. Von ersten Begegnungen mit GERHARD ZACHAR ist die Rede, von der Freundschaft und von der ersten Gitarre sowie von einem Geldstück in Ermangelung eines Plectrums. Man spürt das Schwere in seiner Stimme, wenn er von der Baracke hinter der Kirche erzählt, in der die Proben der Band stattfanden, wo FRANZ BARTZSCH am Klavier seine neuen Stücke vorspielte. Dieses Instrument steht noch dort im Raum, der eine eigenartige Ruhe ausstrahlt, weil darin ein Stück Rockgeschichte gelebt wurde und der jetzt als Vereinsraum des Fördervereins dient. Manchmal sind die geschichtsträchtigen Orte nicht die, wo ein Monument oder ein Gedenkstein stehen, sondern die, wo das weiter gelebt wird, was an so einem Ort einstmals begann und noch immer Inhalt der gelebten Gemeinschaft ist.

 

Zu dem intimen Ambiente der Kirche passt die Musik von LIFT, zumal in kammermusikalisch geschrumpfter Besetzung, wie eine kleine Perle in eine Muschel.

Nach 37 Jahren, so WERTHER LOHSE, stehe er zum ersten Mal wieder in diesem Raum mit dem Altar im Rücken und dem Blick auf die Orgel. Es war ein Moment der Stille, als er dies aussprach, und der Kloß in seinem Hals war bis in die letzte Reihe spürbar.

 

In diese abendliche Ruhe schmiegen sich Songs wie „Jeden Abend“ oder eben „Abendstunde, stille Stunde“ geradezu symbolhaft ein und unter dem Dach des Gotteshauses saß wohl auch niemand, der das nicht spürte. Irgendwie klang alles ein wenig neu, erlebte ich „Nach Süden“ anders und „Wasser und Wein“ in genau dieser Umgebung gehört, ließ die Bedeutung von „anderen Wasser predigen und selbst Wein trinken“ noch einmal völlig anders wirken – damals sowieso und heute schon wieder. Ironie der Geschichte und Wahrheit des Lebens, nur die Texte von heute lassen mich diese Gedankentiefe viel zu oft vermissen.

 

Die alten Lieder von LIFT atmeten in diesen Minuten etwas Magisches und so manche Liedzeile wurde in dieser Umgebung von Halbwahrheiten, Vermutungen und Interpretationen befreit, erhielt ihre eigentliche Bedeutung zurück, von der ich und viele andere bis dahin nichts geahnt hatten. Natürlich hatte ich, wie so mancher DDR-Bürger auch, gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen und zu erkennen. Bei vielen der Songs von LIFT ist dies auch offenkundig und als „Nach Süden“ erklang musste niemand rätseln, was damit gemeint war.

Indem JOACHIM Krause, der Pfarrersohn, seine Geschichten vom alltäglichen DDR-Wahnsinn erzählte, vom Leben mit der „Firma“, von Post aus dem Westen oder vom Erlangen der „Pappe“, sprich Spielerlaubnis, wurden Stück für Stück auch die tatsächlichen Hintergründe manches Textes deutlicher, was ich so nicht vermutet hätte. Diesem unscheinbaren Frühwerk „Wenn“ hätte ich eine solche Botschaft wirklich nicht zugetraut.

 

Die Pause eignet sich gut für Gespräche und für einen Besuch des ehemaligen Proberaumes. Für einen verträumten Moment hätte Zachar hinter einem Busch hervortreten und Wolfgang „Scheffi“ Scheffler hätte vielleicht für ein paar Etüden am Klavier sitzen können. Manchmal geschehen eigenartige Dinge in solcher Umgebung und manchmal geschehen auch Überraschungen. Plötzlich stehe ich vor DINA STRAAT, Zachar’s damaliger Frau, und an der Seite ihre inzwischen erwachsene Tochter. Nach etlichen Telefonaten nun auch das überraschende persönliche Treffen in eben genau diesem Umfeld. Das hat schon einen Hauch von Magie!

 

Dann erklingen wieder die Lieder jener Tage. Passend zu meiner Stimmung „Mein Herz soll ein Wasser sein“, mit Ivonne und Werther im Duett oder a capella intoniert und tief unter die Haut gehend die „Sommernacht“, die ich noch immer mit der Stimme von HENRY PACHOLKI verbinde. Es ist sein Lied und daran geht kein Gedanke vorbei! Wir hören die „Kleine Ahnung“ und „Meine Schulden“, ehe sich noch einmal JOACHIM KRAUSE vorn auf den Hocker setzt.

 

Die Gedanken gehen mit ihm zurück in Zeiten als „Tochter Courage“ für LIFT und STEFAN TREPTE entstand und was der Text von Frieder Burkhardt damals wirklich sagen wollte. Krause erzählt, wie er zunehmend auch für andere Texte schrieb. So für THEO SCHUMANN, HORST KRÜGER oder PANTA RHEI („Über mich“) und wie dieser Prozeß zunehmend auch seinen Rückzug von der Live-Bühne hin zum Texter zur Folge hatte. Er lässt die Jugendarbeit im Kirchumfeld noch einmal lebendig werden, erzählt Beklemmendes vom Umgang mit der Stasi aber auch von den schönen Episoden, die sein Leben ausmachten, ist die Rede. Alles auch nachzulesen in seinem Buch, das den Titel der Liedzeile trägt.

Von einer Hochzeit und Trauung in der Weinbergskirche ist die Rede und wir erfahren, das die von GERHARD ZACHAR und DINA STRAAT gemeint ist, die an diesem Ort vorgenommen wurde.

Seine Stimme wird leise, als er von der Tournee 1978 durch Polen spricht und von der Nachricht, dass ZACHAR und PACHOLSKI tödlich verunglückt seien und wie von diesem Moment an, seine Geschichte mit LIFT ihr Ende erreicht und er zwei Freunde verloren hatte. Von da an war dieses Kapitel für ihn abgeschlossen und nur noch ein einziges Mal, schrieb er ein halbes Jahr später einen Text zu einem Demoband von Scheffi: „Laß’ dir dazu mal was einfallen.“ Auf diese Weise entstand „Am Abend mancher Tage“ von der LP „Spiegelbild“. – „Danach habe ich nie wieder einen Rocktext geschrieben“, sprach’s, stand von seinem Hocker auf und setzte sich auf die Bank seiner Kirche…

 

Als dann die Melodie erklang, war bei vielen sicher dieses mulmige Gefühl wieder da und auch mir gelang es nicht, die Gedanken zu verscheuchen. Das wurde auch nicht viel besser mit „Wind trägt alles Worte fort“, das Bodo in Erinnerung an seinen erst kürzlich verstorbenen Freund und frühen LIFT-Keyboarder FRANZ BARTZSCH sang. Wieder einmal stand im Raum diese Frage nach dem WARUM?

 

Zum Schluß des Abends erklang in guter alter Tradition die „Tagesreise“ von MICHAEL HEUBACH und danach ging eine bewegende und sehr emotionale Lesung mit Live-Musik von LIFT ihrem Ende entgegen. So aufgekratzt war ich schon lange nicht mehr, so viele Erinnerungen stürmten durch meinen Kopf und so angenehm war dieser Abend natürlich trotzdem auch.

 

Dem Förderverein „Kulturkirche Weinberg“ gilt ein großes Dankeschön, diese Lesung in Verbindung mit so einem Konzert organisiert zu haben. Liebevoll gestaltete Details, wie eine kleine Foto- und Erinnerungswand“Zeitung“ mit seltenen Zeitdokumenten, rundeten das Erlebnis ab.

Kompliment an JOACHIM KRAUSE, der bescheidener als angemessen, Einblicke in sein ganz persönliches Leben mit der Gruppe LIFT, mit der Kirchengemeinde und sein Privatleben zuließ. Für Jugendliche eine gute Möglichkeit, Vergangenes besser zu verstehen. Für solche wie mich war es ein Erinnern und Besinnen gleichermaßen.

Wieder einmal wurde mir bewusst, wie sehr mich die Rockmusik aus meinem „Wohnzimmer DDR“ ebenso prägte, wie die der Pilzköpfe & Co. und all der anderen Helden, die zu Hause auf Vinyl gepresst, auf Poster und Autogrammkarten gedruckt und in Geschichten gebunden darauf warten, irgendwann weiter gegeben zu werden. Weitergegeben in eine Zukunft vielleicht, die damit noch immer etwas Wertvolles, Bleibendes und Eigenes verbinden kann und sei es auch erst „am Abend mancher fernen Tage“:

 

„Gib’ nicht auf,

denn das kriegst du wieder hin

eine Tür schlug zu,

doch schon morgen wirst du weiter sehn.“

 

„Am Abend mancher Tage“, Wartburg Verlag 2008, ISBN 3861604019